02 Dez Nĭ Hăo aus dem Asian Big City Life
Zwei Wochen im Land der Kontraste und Widersprüche, wo Tradition auf Moderne trifft und Sitten andere Regeln kennen
Einmal quer durch China – von West nach Ost. Gesehen haben wir nicht viel von China. Schließlich sind wir 48 Stunden nur im Zug gesessen, von Lhasa bis Shanghai. 4373km legten wir auf den Gleisen zurück und hatten es überraschend bequem und komfortabel in unserem Abteil. Dabei hatten wir extra 2 Betten im 6-Bett „hard sleeper“ Abteil gebucht. Wir wollten schließlich eine authentische Zugfahrt durch China miterleben. Ja, man kann sagen, wir haben alleine in diesen zwei Tagen China und seine Einwohner hautnah erlebt. Für mich als Psychologin war das eine sehr willkommene Möglichkeit für ausführliche Kulturstudien.
Die Route unseres Zugs von Lhasa über 4373km
Unser „Hard sleeper“-Zugabteil
48 Stunden chinesische Kulturstudien im Zug
Am Bahnhof in Lhasa wurden wir, ähnlich wie an der Grenze von Nepal nach Tibet, komplett gefilzt und liesen mehrmalige Security-Checks über uns ergehen. Die Verständigung erfolgte hier mit Händen und Füßen. Englischkenntnisse? Fehlanzeige bei den Beamten. Unser Taschenmesser, die Nagelschere und ein kleines Deodorant mussten wir abgeben. „You are not allowed“ hieß es abermals. Ja, das ist wohl China!
Abgesehen von einem anderen Touristen waren wir die einzigen Westler, die in Lhasa in diesen Zug gestiegen waren. Und hatten dann also 48 Stunden Zeit, um die Landschaft an uns vorbeiziehen zu sehen, in den Zuggängen auf- und ab zu spazieren, unsere Bücher zu lesen, die bisherigen Etappen in Nepal und Tibet (siehe auch die dazugehörigen Blogposts) Revue passieren zu lassen, viel zu schlafen und einfach mal zum Nichts tun gezwungen zu sein.
Eine wertvolle Erkenntnis: Langweilig wurde uns nicht im Geringsten und die Zeit verging schneller als gedacht. Wir schlossen Freundschaften mit unseren „new Chinese friends“, mit denen wir uns das Abteil teilten, kommunizierten jedoch via Übersetzungs-App am Handy. Denn auch bei diesen jungen Leuten war Englisch wortwörtlich ein Fremdwort.
Im Gespräch mit unserem neuen chinesischen Freund
Chinesen, wie sie „leiben und leben“
Wir hatten uns vorsorglich mit etwas Proviant ausgestattet, Gemüse-Packerlsuppen sowie Obst und Gemüse im Gepäck. Wie spartanisch im Vergleich! Denn die Chinesen hatten allesamt riesengroße Säcke mit Verpflegung mit an Board. Verhungern würde hier also niemand. Und wir wurden mit verpflegt, ob wir wollten oder nicht. Regelmäßig wurden uns einzeln verpackte Oreo-Kekse (die Plastikverschwendung erschien mir hier grenzenlos und ein Umweltbewusstsein dafür kaum vorhanden), Milchdrinks und andere Snacks angeboten, mehr noch, aufgedrängt. Manchmal nahmen wir dankend an. Doch bei den vielen fleischigen Nudelsuppen und in Vakuum verpackten Chicken Wings, an denen sie genüsslich nagten, lehnten wir ab. Stets dezent lächeln. „We are vegetarians, 素食!“
Rülpsen und Rotzen wurden auf der Fahrt vertraute Geräusche. Mein Gurgeln mit Salzwasser morgens und lautes Ausspuken des Schleims, den ich meinem tiefen Husten aus Tibet und der kontinuierlichen Unterkühlung durch die Klimaanlage im Zug zu verdanken hatte, schien hier nicht im Geringsten fehlplatziert zu sein.
Dann war die letzte Stunde im Zug angebrochen – endlich! Und die wollte und wollte einfach nicht vergehen. Typisch!
Doch dann waren wir da – Welcome to Shanghai. Nach zweitägiger Zugfahrt befanden wir uns tatsächlich noch immer in China. An einem Ort, der nicht unterschiedlicher zu Lhasa und all den zuvor besuchten Plätzen hätte sein können. Was hatten wir uns bloß bei unserer Reiseplanung dabei gedacht? Wir gaben uns nun wirklich das Triple „Shanghai– Hongkong – Singapur“. Wenngleich diese drei Städte merkbare Unterschiede aufwiesen und verschiedene Facetten des asiatischen Großstadtlebens preisgaben, so zeigten es auch einige Gemeinsamkeiten und Parallelen.
UNSERE BEST 4 “EINZIGARTIGKEITEN UND EIGENHEITEN” AUS DEM ASIAN BIG CITY LIFE
IT’S ALL ABOUT THE MONEY
Mein Freund hat sich sehr nach dem westlichen Flair und den damit verbundenen Annehmlichkeiten gesehnt. Unser erster Stopp nach dem Aussteigen aus dem Zug war daher auch der Besuch bei McDonalds. Sein Fazit „Schmeckt überall auf der Welt gleich (gut)!“. Ich hingegen hatte einen Kulturschock und fühlte mich von allem überfordert – alles war mir zu viel, zu schnell, zu laut, zu groß. Überall „blingbling“, Luxus und Kommerz pur. Unser Styling ganz und gar nicht stadttauglich und fancy. Nun gut. Verkraftbar und eigentlich unwichtig. Gleichzeitig fühlte ich mich fehlplatziert und underdressed. Ja, es war Zeit unsere Stadtklamotten auszupacken!
Nun konnten wir uns abends auch in eine Skybar trauen und gönnten uns einen Cocktail im „Hyatt on the Bund“. Hier genossen wir die phänomenale Aussicht auf die bunt glitzernde und blinkende Skyline von Shanghai. Meinem Kulturschock war dies nicht wirklich zuträglich, aber – ich gebe es zu – es war ein Erlebnis und wurde ein unvergesslicher Abend. Zudem am Nebentisch ein österreichischer Businessmann saß, mit dem sich zufällig ein Gespräch und ein überaus lustiger und toller Abend ergab. Wir teilten mit Clemens nicht nur die Sehnsucht nach dem „heimischen Schwarzbrot mit knuspriger Kruste, Butter und Salz“, sondern auch gemeinsame Bekannte in Wien. Die Welt ist doch immer wieder so, so klein.
Cocktails im „Hyatt on the Bund“ in Shanghai
Dass sich alles, was Rang und Namen (und Geld hat), Mittwoch abends im Hong Kong Jockey Club trifft, durften wir dort mit eigenen Augen miterleben. Das Areal des Pferderennens, die dortige bombastische, tobende Stimmung und die vom Wetten besessenen Menschenmassen waren beeindruckend zu beobachten. Hier haben wohl schon einige ihr gesamtes Geld verspielt. Kein Zufall womöglich, dass der Tunnel zur U-Bahn vor der Pferderennbahn als Zuhause einiger Obdachloser Menschen fungierte… wobei die „Obdache“ jedoch fast menschenleer waren, als wir hier vor Rennschluss entlang spazierten. Ob wohl doch der ein oder andere immer noch an das Glück bei den Pferdewetten glaubte und das verbliebene Geld auf die Pferde setzte? Jeden Mittwoch gab es schließlich erneut Gelegenheit dazu…
Pferderennen im Hong Kong Jockey Club
Technologisch-innovativ uns meilenweit voraus
Das beste Beispiel für den technologischen Fortschritt bzw. die gekonnte Nutzung von Zeit und Raum konnten wir bei unserer ersten Metrofahrt in Shanghai beobachten. Hier wurden tatsächlich die Wände der U-Bahntunnel zwischen den Stationen mit leuchtenden Werbungen versehen. Jaja, Zeit ist Geld und Platz gehört bestmöglich genutzt, nicht?
Die Metro war in der Tat ein guter Ort für meine psychologischen Menschenstudien. Wundere ich mich manches Mal auch bei uns in Europa, wie viele Leute in der Stadt nur auf ihr Handy starren, ist es in Asien (egal, ob in Shanghai, Hongkong oder Singapur) noch extremer. Egal, ob spielend, chattend oder lesend – alles starrt aufs Handy! Das dies nicht nur aus psychologischer Perspektive eine große Bedrohung für die Sozialkompetenz darstellt, sondern auch eine Gefahr im Straßenverkehr ist, ergaben tatsächlich mehrere wissenschaftliche Studien. Der Versuch Chinas, durch die Einführung gesonderter Handy-Spuren für Fußgänger entwickelte sich jedoch schon vor mehreren Jahren als kompletter Flop.
Was für den Rest der Welt „WhatsApp“, ist für China „WeChat“. Mit dem Unterschied, dass die chinesische Version (Achtung an alle China-Reisenden: WhatsApp, Google und Co funktionieren in China ohne VPN-Verbindung nicht) weit mehr ist als die Methode der Wahl für das Versenden von Nachrichten und Bildern. Ein Marktstand beispielsweise kann gar nicht klein und simpel genug sein, selbst hier ist das Zahlen von Obst, Gemüse und allerhand anderem Allerlei mit WeChat möglich. Das reicht sogar soweit, dass manches Mal das Bezahlen mit Bargeld oder Visa gar nicht mehr möglich ist. Verblüffend für uns: Hier hat auch die Generation 60+ keine Probleme, mit dieser modernen Art der Bezahlung zurechtzukommen. „It is so easy!“, wurde uns stets gesagt.
Chinesische Köche bei der „Arbeit“ am Handy
ANDERE LÄNDER, ANDERE SITTEN
Dieses Sprichwort trifft auf China definitiv zu. Bestes Beispiel dafür sind die Tischmanieren und Ess-Gewohnheiten der Chinesen. Das Nationalgericht Nummer 1 sind meinen Beobachtungen nach Instand Nudeln. Praktischer und für mich sehr willkommener Side-Effect: An sehr vielen öffentlichen Orten gibt es dafür gratis heißes Wasser!
Außerdem lieben Chinesen Fleisch – zu jeder Tages- und Essenszeit, in jeglicher Zubereitungsart (gebraten, frittiert oder getrocknet) und von allerhand exotischen Lebewesen stammend. Meine Neugier, die lokalen Spezialitäten des jeweiligen Landes, auszuprobieren, um so die Kultur auch kulinarisch besser kennenzulernen und zu verstehen, hielt sich hier in China wahrlich in Grenzen. Wobei – ich gebe zu: der baked bun gefüllt mir süßlich mariniertem Schweinefleisch bei unserem Dim Sum Abendessen in Hongkong war wirklich köstlich und eine wahre Geschmacksexplosion. Danke für diese Empfehlung an Beto, unseren so herzlichen, brasilianisch-italienischen Freund aus Frankfurt, in dessen Appartment wir während unserer Hongkong-Zeit wohnen durften!
Für mich als Person, die Essensreste nur sehr schwer überlassen bzw. wegschmeißen kann, bedeutete es jedes Mal einen schmerzvollen Stich ins Herz, wenn ich zusehen musste, welche Unmengen an Speisen die Einheimischen bestellten und ebenso übrig liesen. ZeroWaste und Foodsharing scheinen hier wohl ebenso Fremdwörter zu sein. „This is our tradition!“
Eines unserer Highlights in Punkto chinesische Sittenlehre war der Besuch eines Hot Pot-Restaurants in Shanghai, gemeinsam mit einem chinesischen Studentenpärchen, das mein Freund Grüni bei seiner China-Studienreise letztes Jahr kennengelernt hatten. Die Kommunikation über WeChat, um uns zu einem gemeinsamen Abendessen zu verabreden, erfolgte in einem sehr guten, verständlichen Englisch und gefühlter Freude am (digitalen) Austausch. Als wir uns dann jedoch im Hot Pot Restaurant trafen, verstanden die beiden nahezu keine unserer Fragen, entschuldigten sich für ihr schlechtes Englisch und stellten auch keinerlei Gegenfragen, die Interesse an uns vermittelten.
Hot Pot Essen in Shanghai
Unser Analyse-Ergebnis nach dieser Begegnung: Eine Kombination aus wenig Sprachpraxis und extremer Schüchternheit– dabei waren wir doch wirklich so aufgeschlossen, interessiert und überhaupt nicht furchteinflößend… ebenso chinesische Tradition ist es übrigens, die Rechnung zu übernehmen. „You are our guests!“ Dabei wollten wir für die beiden als Dank bezahlen… es fiel uns schwer, diese Einladung anzunehmen. Doch schließlich wollten wir auch nicht chinesischen Sitten brechen…
WIR REISEN (ZU) SCHNELL
Diese Erkenntnis machten wir relativ bald im chinesischen Großstadtleben! Unsere Reiseseelen, die aus Nepal und Tibet kommend wohl noch einiges zu verarbeiten hatten, brauchten viel Zeit, um unseren Körper einzuholen. Und dennoch fiel es vor allem mir schwer, auch mal komplett Ruhe zu geben und die konstanten Erkundungen zu reduzieren. Jeweils 4 Tage in Shanghai und Hongkong, zig neue Orte, die gesehen und Erlebnisse, die gesammelt werden wollten. Da konnte ich doch nicht einfach einen ganzen Tag nur in der Unterkunft bleiben und nichts tun. Nein? Doch – am letzten Tag in Hongkong „schaffte“ ich dieses Projekt erfolgreich! Dabei merkte ich, wie überfällig, notwendig und wohltuend dieses Experiment war. Schließlich schleppten wir beide zusätzlich noch einen ganz tiefen Husten aus Tibet mit, der uns gesundheitlich und körperlich schwächte.
Ja, ich stellte fest: Eine wahre Challenge beim Reisen ist es, eine Balance zu finden bestehend einerseits aus einem Leben im Moment voller Achtsamkeit und bewusstem Sein am jeweils aktuellen Ort sowie andererseits dem Planen weiterer Stationen, Recherchieren essentieller Reiseinformationen und Buchen von Flügen und Unterkünften. Gleichzeitig wollen auch Eindrücke schriftlich festgehalten und Freunden und Familie zu Hause angerufen werden. Nicht zu vergessen auf die Ruhetage, die ebenso regelmäßig eingeplant gehören!
SLOW down – Botschaft an unser Reisetempo
Hier noch ein paar weitere Impressionen aus unserem „Asian big city life“:
Blick auf Hongkong Island bei Sonnenuntergang
Chinesische Mädchen im Fuxing Park – man achte auf die orange gefärbten Ohren des Hundes
Heimatduft dank Tiroler Gröstl im fernen Hongkong
Weihnachtsdekoration in Hongkong – überall „blingbling“
Boxenstopp und Heimatgefühle in Singapur
Wie gut also, dass unser nächster Stop nach Hongkong Singapur hieß, wo wir unsere lieben österreichischen Freunde besuchten und 5 Tage Familienfeeling genossen, deren Alltag miterlebten und NICHTS machten außer zu entspannen, die notwendigen nächsten Flüge und Unterkünfte für die Weihnachtszeit zu finden (eine wahrlich schwierige Suche nach der Nadel im Heuhaufen) und viel zu schlafen. Ungewohnt, neu, wichtig! So zogen wir schließlich Ende November mit neu getankter Energie, frisch gewaschener Wäsche und großem Entdeckungsdrang weiter. Und waren bereit, Malaysia zu erLEBEN!
Abendessen mit unseren österreichischen Freunden in Singapur
Selbst gebackene Weihnachts-Lebkuchen made in Singapur
Momentan sind wir noch mitten drinnen im Erleben, Genießen, es uns gut gehen lassen. Bald wieder mehr von mir mit einem Bericht aus Malaysia.
Eure Julia
👍😀 liest sich voll spannend😊👍 und bin schon sehr neugierig, wie es in Malaysia weitergeht😊😀 Alles Liebe euch beiden